Die Geschichte der Besiegten.
Vom Widerstand der indigenen Võlker
Vor mehr als 500 Jahren, am 12. Oktober 1492, landete der Genueser Seefahrer
Christoph Kolumbus auf einer Insel in der Karibik. Aus europäischer Sicht
markiert dieses Datum die Entdeckung und den Beginn der Eroberung Amerikas. So
wird dieser Tag auch noch heute in den dortigen Schulen gefeiert, in denen kein
anderes Geschichtsbild vermittelt wird, als das der großen, weißen, heldenhaften
Männer. Die, von denen die Namen heute bekannt sind, gehörten allesamt der
wirtschaftlichen, politischen oder militärischen Elite an.
Für die
Ureinwohner Amerikas (heute insgesamt nur noch 50 bis 60 Millionen) ergibt sich
ein anderes Bild. Für sie bedeutete die Anwesenheit der Europäer nichts anderes
als die Besetzung ihrer angestammten Gebiete, die Zerstörung ihrer Kultur, die
Auferlegung verschiedener Formen von Knechtschaft und den Beginn einer langen
Etappe der Barbarei im Namen einer »Zivilisation«, die bis heute die Existenz
zahlreicher indigener Gemeinschaften bedroht.
Angesichts dieser Entwicklung
führten die Ureinwohner Amerikas im Laufe der Jahrhunderte einen zähen, noch
immer andauernden Kampf um die Respektierung ihrer Traditionen, ihrer
Stammesgebiete und ihrer kulturellen Identität. Diesen Forderungen wurde damals
und wird heute mit brutaler Gewalt begegnet.
Der Widerstand der indigenen
Völker Lateinamerikas nahm über die Jahrhunderte verschiedene Formen an. Aus
Protest wurden ganze Siedlungen niedergebrannt, etwa auf Befehl des Kaziken
Sagipa, der die Machthaber zwang, die Stadt Santafé de Bogotá auf den Trümmern
neu zu errichten. Es wurde indigenes Recht angewendet, um den Landbesetzungen
entgegenzuwirken und die Mißhandlungen durch die encomenderos
(Großgrundbesitzer) anzuzeigen. Auch kollektive Selbstmorde gab es.
Im
Arbeitsalltag wurden andere Formen des Widerstandes gegen die dominante Kultur
der Eroberer entwickelt. Die »faule«, »feindselige« und »bösartige« Wesensart,
die den Ureinwohnern von den europäischen Eroberern zugeschrieben wurde, war
nichts anderes als eine Beschreibung des passiven Widerstandes, den die zu einer
Art Fronarbeit gezwungenen indigenen Gemeinschaften gegenüber den Machthabern
leisteten.
Der bewaffnete Widerstand hat den vor allem spanischen,
portugiesischen und französischen Eroberern Kopfzerbrechen bereitet. Auf dem
Gebiet des heutigen Kolumbien waren zahlreiche indianische Gemeinschaften wie
die Muzos in der Region Vélez, die Panches in Tibacuy, Tocaima, Anolaima und
Villeta, die Pijaos in den Regionen Natagaima und Coyaima, die Paeces im Cauca
und andere aus Santa Marta und Cartagena bekannt für ihren erbitterten
Widerstand gegen die Eroberung durch den weißen Mann.
Der rechtmäßige
Verteidigungskampf der Ureinwohner wurde durch die spanischen
Geschichtsschreiber in ein völlig falsches Licht gesetzt, indem sie das Bild des
wilden oder menschenfressenden Indios vermittelten. Aber der Kampf brachte auch
zahlreiche Führer des indigenen Widerstandes hervor, wie zum Beispiel die
Kaziken Nutibara, Tundama, Calarcá, Saboyá, Maitamac, Acaime, La Gaitana,
Lupachoque und Toné, deren heroischer Kampf ein wichtiger, aber bis heute
weitgehend verschwiegener Teil unserer gemeinsamen Geschichte ist.
Die
encomenderos waren diejenigen Spanier, die als Dank für ihre militärische Hilfe
bei der Unterwerfung der indigenen Völker nicht nur ein Stück Land erhielten,
sondern auch die darauf wohnenden Ureinwohner von der spanischen Krone quasi als
Eigentum zugesprochen bekamen. Sie durften mit ihnen verfahren, wie sie wollten,
meist wurden die indianischen Gemeinden zur Feldarbeit verdammt, wie zur
Fronarbeit im mittelalterlichen Europa.
Von Caonabó nach Tundama
Caonabó, ein karibischer Häuptling auf
der Insel La Española (heute Dominikanische Republik) war einer der ersten
Führer des indianischen Widerstandes gegen die Spanier, die mit Kolumbus in der
Region einfielen. Sobald er von der Anwesenheit der Spanier und ihren
Besitzansprüchen erfuhr, organisierte der gebürtige Karibe in der Provinz
Managua den Kampf gegen die »weißen Eindringlinge«, in dessen Verlauf den
Spaniern große Verluste zugefügt wurden. Ein anderes Mal überfiel er mit seinen
Kriegern das Fort Navidad, das die Spanier aus den Überresten des Flagschiffes
Santa Maria erbaut hatten. Die Belagerung und den Kampf um Fort Navidad
überlebte keiner der spanischen Soldaten. Zu den militärischen Erfolgen des
Kaziken gehört auch der Angriff auf die Festung Santo Tomás.
Da es unmöglich
schien, Caonabós gewaltsam Herr zu werden, bediente sich Alonso de Ojeda,
Oberbefehlshaber der spanischen Truppen, einer List. Er besuchte Caonabó in
vermeintlich friedlicher Absicht. Als Gastgeschenk brachte er ein Paar
Fußschellen mit, die er dem Kaziken als Geschenk überreicht. Caonabó, dem die
Fesseln unbekannt waren, hielt sie für einen Schmuck. Als die Verschlüsse
einrasteten, stürzten die Soldaten auf ihn und nahmen den kampfstarken Kaziken
fest.
Aus der Sicht der Eroberer, die unsere Geschichtsschreibung bis heute
bestimmt, sind dieser leichte Sieg und andere der »Geistesschärfe« der Eroberer
und der »Naivität« der Eroberten zu verdanken. Aus der Sicht der Besiegten aber
waren es die unbekannten Kulturelemente der Spanier, wie Handfeuerwaffen, Pferde
und Jagdhunde, die zu den Siegen beitrugen.
Aber die Völker lernten aus ihren
Erfahrungen, und bald schon waren ihnen diese neuen Elemente vertraut. Sie
lernten, mit ihnen umzugehen, und sie lernten ihre Schwächen kennen. Auf diese
Weise, und mit der Erkenntnis über die waren Intentionen der Eroberer, wurde der
indianische Widerstand immer effektiver.
Diese neue Haltung der Ureinwohner
wurde von einigen europäischen Chronisten durchaus wahrgenommen. In seinen
»historischen Notizen« erzählt Fray Pedro Simón eine Episode aus der Zeit der
Eroberung wie folgt:
»Der spanische Kapitän Baltasar Maldonado wandte sich
an den Kaziken Tundama, der den Eroberern erklärtermaßen Widerstand leisten
wollte. »Du tätest besser daran, dein Leben und das deiner Gefolgsleute mit
Mauern und Palisaden aus Frieden und Freundschaft zu schützen, denn das ist es,
was wir dir zu wünschen und garantieren gekommen sind. (...) Diesen Frieden
trage ich dir an ein ums andere Mal und die Unterordnung unter den König von
Spanien, der dich gegen jegliche Angreifer verteidigen würde, denn seine
königlichen Hände sind allmächtig.«
Darauf antwortete der Kazike Tundama:
»Halte mich nicht für so barbarisch, daß ich den Frieden und die Früchte, die
ihm erwachsen, gering achte. Auch die Freundschaft, die ihr mir antragt, würde
ich euch gerne erwidern, wüßte ich nicht um euer Ränkespiel, uns mit sanften
Worten in eure Freundschaft einzuzwingen, um uns alsbald mit Tributlasten zu
ersticken.« Nach diesen Worten ließ der Kazike den Quellen zufolge einen Pfeil
aus seinem Bogen schnellen und gab damit das Zeichen zum Angriff.
La Gaitana: Ein weiteres Symbol des indigenen Widerstandes
1538
wollte Pedro de Añasco, General der Truppen von Belacázar und von diesem mit der
Gründung der Stadt Villa de Timan beauftragt, einen Aufstand der Indianer in
dieser südkolumbianischen Region niederschlagen. Dabei wurde auch der Sohn der
Kazikin La Gaitana ermordet. Die Spanier verbrannten ihn bei lebendigem Leibe.
Die Stämme der Andakies, Yalkones und Paeces vereinigten sich daraufhin
unter der Leitung der Kazikin. Eine weitere Allianz führte die Schlacht im Tal
von Yguilga, in der weite Teile der spanischen Truppen eingekesselt wurden.
Unter den Gefangenen befand sich auch Añasco. Zur Strafe für seine Verbrechen
wurde er an einen Baum gebunden, geblendet und als Beispiel der Besiegbarkeit
der Eroberer durch die Dörfer geführt. Der Kampf in der Region dauerte noch ein
ganzes Jahr an, am Ende siegte die Übermacht der Spanier, aber der Preis war die
völlige Zerstörung der Region. Der Sieg ließ verbrannte Erde
zurück.
Zahlreich sind die Beispiele für den indianischen Widerstand. Der
Kampf ist tatsächlich niemals ganz zum Erliegen gekommen, er läßt sich bis weit
über das Ende der Kolonialzeit hinaus verfolgen. Bis in unsere Zeit. Heute
allerdings werden die Kämpfe unter anderen Bedingungen geführt. Im Zeitalter der
Globalisierung will man uns die scheinbar ultimativen Werte des Marktes und der
Konkurrenz schmackhaft machen, ohne dabei kulturelle Besonderheiten zu beachten.
Ähnliches hatten schon einmal die Spanier versucht.
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