Deutschsprachigen kolumbianischen Zeitschrift der Revolutionären Streitkräfte Kolumbiens - Armee des Volkes (FARC-EP).-
08.08.2001.-Nr 23 (März - Juni 2000)

Politik

Dialog ja, aber

Fast vergessen scheint die Präsidentschaft Julio César Turbays (1978-1982), des finsteren Autoren des Statuts für Nationale Sicherheit, des Autoren einer politischen Amnestie, welche die Kapitulation der Aufständischen bedeutet hätte und daher von ihnen abgelehnt wurde. Des Autoren eines Vorschlages für eine Verfassungsreform, der so ausgearbeitet war, daß »kein einziges Komma geändert werden konnte«. Es war die Zeit, in der das Aufbegehren der Bevölkerung durch eine Welle von Mißhandlungen und »Verschwindenlassen« bekämpft wurde, die Zeit der Tötungen ohne Gerichtsverhandlung und der Gefängnisse für Regimegegner im Meer der Proteste des Volkes.

Man glaubte, mit diesen Terror- und Mordinstrumenten das »unangenehme Problem der Guerillabewegung« in kurzer Zeit loswerden zu können. Die gesamte staatliche Macht war auf dieses Ziel ausgerichtet. Doch am Ende der Präsidentschaft Turbays hatten sich - teilweise als Antwort auf die offizielle Gewalt - die Reihen der Aufständischen verdoppelt und ihre Einflußgebiete erweitert.

Die Strategie ging nicht auf. Turbay, seine Amnestie, sein Sicherheitsstatut und seine Verfassungsreform scheiterten angesichts eines Volkes, das eine demokratische Öffnung für Kolumbien forderte. Deshalb wurde seine Strategie revidiert.

Der neue Kapitän sollte Belisario Betancur (1982-1986) werden, in der Bevölkerung bekannt als der »Poet von Amagá« (der Name des Kreises in Antioquia, wo er geboren wurde). Noch ist der Widerhall seiner Rede bei der Übernahme der Präsidentschaft auf der Plaza de Bolivar zu hören, als er den Aufständischen mit dem Olivenzweig winkte und sagte: »Es wird kein weiterer Tropfen Blut vergossen..., es wird kein einziger Tropfen kolumbianisches Blut mehr fließen«.

Mit Betancur ging es voran. Es wurde ein Weg für Feuereinstellung, Waffenstillstand und Frieden gefunden, bekannt geworden als »Abkommen von Uribe«. Es entstand die Patriotische Union als neue politische Bewegung. Sie war ein Ergebnis dieser Abkommen und ein Angebot der FARC-EP an das kolumbianische Volk. Doch zur gleichen Zeit verstärkten sich das Auftreten und die Entwicklung bewaffneter Gruppen, die von den höchsten Kreisen der Macht alimentiert, von den Büros der höchsten militärischen Befehlsstellen geführt wurden, um die Patriotische Union zu enthaupten. In dieser Zeit geschah der brutalste politische Völkermord des modernen Amerika. Die Worte von Betancur wurden vom Winde verweht, Land und Stadt mit dem Blut der besten Töchter und Söhne des Vaterlandes getränkt, die für eine gerechtere Gesellschaft eingetreten waren.

Die öffentlich bekannten Gegner des Friedens, diejenigen, die Angst vor dem Frieden hatten, konnten teilweise ihr Ziel erreichen. Nachdem ein Kommando der M-19 in einer Verzweiflungstat den Justizpalast eingenommen hatte, wurde dieser durch eine brutale Aktion von der Armee zurückerobert. Gleichzeitig vernichtete die Armee mit dieser Aktion die sich für sie als unbequem herausstellende Judikative.

Es folgten die Regierungen von Virgilio Barco (1986-1990) und Cesar Gaviria (1990-1994). Nacheinander wurden die M-19, die Bewegung Quintín Lame und die PRT (Revolutionäre Partei der Werktätigen - d.Ü.) und später ein Sektors der ELN zu Verrätern an den Interessen des Volkes. Die nach den Wahlen 1990 von der Regierung Cesar Gavirias einberufene Verfassunggebende Versammlung von 1991 wurde als Allheilmittel gegen alles Böse in der kolumbianischen Gesellschaft dargestellt, zu einem Zeitpunkt, als in Berlin die letzten Stücke der Mauer fielen und ein neues Zeitalter beispielloser Prosperität eröffnet werden sollte. Zur gleichen Zeit fielen die ersten Bomben in Casa Verde, der Enklave der FARC-EP, mit dem Ziel, ihr Nationales Sekretariat zu vernichten. 1998 kam der Mann des proceso 8000 an die Macht: Ernesto Samper Pizano, der mit Hilfe des Geldes der Rauschgiftmafia des Cali-Kartells gewählt wurde (proceso 8000: Strafverfahren gegen die halbe Regierungsmannschaft Sampers wegen illegaler Wahlfinanzierung - d.Ü.). Nach einem Friedensvorschlag, der am Militarismus scheiterte, liefen wegen der Illegitimität und Illegalität der Regierung alle Bemühungen um einen Dialog ins Leere.

Militärische Aktionen waren an der Tagesordnung. Es war notwendig geworden, den sich immer stärker entwickelnden Aufstand zu schwächen und mit Gewalt zu vernichten. Die Offensive, die eine neue Operationsmethode in die Praxis umsetzte, führte zu verheerenden Verlusten in den Reihen der Regierungsarmee. Obwohl hohe Geldsummen in die Modernisierung der Armee gestopft wurden, erfüllten sich die damit verbundenen Hoffnungen nicht.

Diese unübersehbare Tatsache und die immer klarer werdende Rolle der FARC-EP als politische Opposition angesichts der Vernichtung der »legalen« Opposition sowie der Wunsch breiter Schichten der Bevölkerung nach Frieden gaben den Ausschlag dafür, daß der neue Präsident Andrés Pastrana Arongo zu einer neuen Strategie überging. Er besuchte das Sekretariat der FARC-EP und befahl der Armee und den nationalen staatlichen Sicherheitskräften, die fünf Gemeinden La Macarena, Vista Hermosa, Mesetas und Uribe im Departement Meta sowie San Vicente del Caguán im Departement Caquetá zu räumen, damit der Dialog begonnen werden konnte. Er versprach, die ureigene Schöpfung des kolumbianischen Staates, den Paramilitarismus, mit Hilfe der in Verfassung und Gesetzen festgehaltenen Vorschriften aufzulösen. Es kam zu einigen Vereinbarungen über die Arbeitsweise in den von der Regierungsmacht geräumten Gebieten und über die Rolle der zivilen Behörden und der zivilen Polizei. Von Anfang an wurden die gewohnten Fallen ausgelegt: In den geräumten Gebieten verblieb zunächst ein Jägerbataillon, das später in Erfüllung der Vereinbarungen diese verlassen mußte. Bald versuchte die Regierung, einseitig die Spielregeln über die Arbeitsweise der öffentlichen Einrichtungen in den geräumten Zonen zu ändern. Das geschah unter dem Vorwand, die FARC-EP würde ihre Macht in jenen Territorien mißbrauchen. Desgleichen wandte sie sich gegen die Existenz der geräumten Gebiete selbst, indem sie diese in den Medien verteufelte: »Es gibt kein Verbrechen, das in diesem Gebiet nicht begangen wird. Die in anderen Gebieten des Landes unternommenen Angriffe werden von den Guerilleros geplant und ausgeführt, die von den geräumten Gebieten ausrücken. Es existieren Hunderte von Hektar Kokainfelder; alle fünf Minuten verläßt ein Flugzeug mit Kokain diese Gebiete in Richtung USA. Es wird ein Pol-Pot-Regime geschaffen. Die Einwohner dieser Gebiete werden mit Gewalt für die Guerilla rekrutiert. Die zivilen Behörden werden nicht respektiert. Kolumbien ist balkanisiert worden.« etc. Lug und Trug werden auf der Strecke bleiben, und dabei werden die heimlichen Gegner des Friedens, jene, die Angst vor dem Frieden haben, ans Licht kommen. Denn die offenen Friedensgegner sind schon längst bekannt. Unter ihnen hebt sich ein bedeutender und einflußreicher Teil des imperialistischen Staates USA mit seiner Beteiligung und Einmischung in unsere inneren Angelegenheiten hervor.

Gegenwärtig können im Friedensprozeß Fortschritte aufgewiesen werden. Obwohl sie kaum wahrnehmbar sind, muß man sie gründlich analysieren. Denn sie sind in einem Land, das durch Intoleranz und den täglich durch den Staat aufgezwungenen Krieg geprägt ist, von großer Bedeutung.

Zur Zeit werden von der FARC-EP wie auch seitens der Regierung Verhandlungskommissionen ernannt, Kommissionen für die öffentlichen Anhörungen und solche für verschiedene zu behandelnde Themen. Es werden sowohl Vertreter verschiedener Organisationen, Regierungen, Gewerkschaften, Kirchen, Berufsverbände als auch einzelne Persönlichkeiten, Bauern, Direktoren und Medieneigner, Politiker verschiedener Richtungen, empfangen. Dazu kommen noch in- und ausländische Parlamentarier, Mütter und Familienangehörige von kriegsgefangenen Soldaten und Polizisten, d.h. ein Spektrum von Gästen, das in seiner Breite bereits einen Vorgeschmack auf die öffentlichen Anhörungen bietet.

Gleichzeitig gibt es einen ständigen Kontakt zu der Regierungskommission und bedeutende Gespräche mit dem Hohen Kommissariat für Frieden. Es wurden Telefonkonferenzen durchgeführt, um die Bevölkerung über den Fortgang der Dialoge zu informieren. Der Sitz für die nächsten Versammlungen wurde schon bestimmt. Es ist Villa Nueva Colombia. Es wurde eine gemeinsame Tagesordnung mit zwölf Themen vereinbart, die sich in die folgenden drei Bereiche gliedern:

  1. Themen in Zusammenhang mit der sozialen und ökonomischen Struktur,
  2. Themen in Zusammenhang mit Fragen der Menschenrechte, des humanitären Völkerrechts und internationaler Beziehungen,
  3. Themen in Zusammenhang mit der Demokratie und politischen Struktur des Staates.

Es wurden Fristen gesetzt, um die erreichten Fortschritte der Verhandlungen zu bewerten. Und, bisher noch nie dagewesen in der kolumbianischen Geschichte: Eine gemeinsame Delegation der Regierung und der Guerillakommandanten der FARC-EP besuchte verschiedene europäische Länder.

Dabei wurden nicht nur Erfahrungen gesammelt, sondern man spricht nun über das grundlegende Problem der kolumbianischen Bevölkerung: den FRIEDEN. Es wird darüber gesprochen, wie man einen anderen Ausweg als den Krieg aus dem ökonomischen, politischen, sozialen und bewaffneten Konflikt, den das Land durchmacht, finden kann. Das ist ein Umstand von fundamentaler Bedeutung.

Doch die neue Entwicklung, zu der wir übergehen, ist ernsthaft bedroht. Über dem Verhandlungstisch ziehen dunkle Wolken auf. Diese können sich - trotz der Haltung der FARC-EP - in jedem Moment als ein Gewitter schwerer Konfrontationen entladen. Die folgenden Fakten zeigen diese Gefahren auf:

  1. Der von Pastrana in Gang gesetzte plan Colombia (besser wäre zu sagen »Der Strangulierungsplan«). Dieser Plan bindet unser Land an die Kriegsfalken der Vereinigten Staaten und unseres eigenen Landes.
  2. Die nordamerikanische Hilfe von 1,6 Milliarden US-Dollar als Teil des plan Colombia, die am 8. Februar vom Senat der USA bewilligt wurde und die unter dem Vorwand der Bekämpfung des Drogenhandels in erster Linie gegen die FARC-EP eingesetzt werden soll. Denn diese Mittel sollen folgendermaßen verteilt werden:
    • 600 Millionen Dollar für das Wirken von drei Armeebataillonen, angeblich zur Drogen-, besser gesagt zur Guerillabekämpfung. Denn die Drogenbosse haben keine Armee.
    • 96 Millionen Dollar für die nationale Polizei
    • 341 Millionen Dollar für die Bekämpfung des illegalen Grenzverkehrs, für die Flotte und die Luftstreitkräfte
    • 145 Millionen Dollar für alternative Entwicklungen, wobei sie wohl denken, den Hunger zu beseitigen, wenn sie halb Kolumbien töten.
    • 92 Millionen Dollar für die Stärkung demokratischer Institutionen, die nur eine blasse Widerspiegelung einer tatsächlichen Demokratie sein werden.
    Dazu kommt die Einkreisung Kolumbiens durch Militärstützpunkte: in Manta/Ecuador, Iquitos/Peru, Aruba, Curazao, außerdem noch Truppenbewegungen Richtung Grenze durch Armeeteile Perus und Ecuadors sowie die nationale Polizei von Panama.
  3. Das Fehlen des politischen Willens seitens der drei Staatsgewalten, die sich geweigert haben, ein Gesetz zum Gefangenenaustausch auszuarbeiten, damit die Kriegsgefangenen der beteiligten Seiten an ihre Herkunftsorte zurückkehren können. Ein Fortschritt auf diesem Gebiet würde zeigen, daß es möglich wäre, den Weg für sehr kontroverse Themen, Kernstücke für die Entwicklung des Dialogs, zu ebnen. Die starke Zurückhaltung in dieser Frage zeigt, was bei anderen Themen zu erwarten ist.
  4. Das Fortbestehen der präventiven Konterrevolution in Gestalt der Paramilitärs, die weiterhin vor dem duldsamen Auge des Staates und der Sprachlosigkeit der Welt unschuldige Menschen zerstückeln.
  5. Die innere Reaktion mit ihren großen ökonomischen Ressourcen. Sie hält es für möglich, den Krieg mit Hilfe der Gringos zu gewinnen und weiterhin ihre Privilegien zu genießen, ohne grundlegende Veränderungen in der kolumbianischen Gesellschaft einzuführen.

Diese neue Etappe des Dialoges wird sich unter den Bedingungen einer tiefgreifenden Klassenkonfrontation vollziehen, die alle Bereiche des nationalen Lebens berührt.

Auf der einen Seite werden diejenigen stehen, die wie wir Veränderungen wollen und an einen anderen Ausweg aus dem Krieg glauben, die immer mehr Gehör finden und die mit der Schaffung und dem Abhalten öffentlicher Anhörungen sowie der breiten Beteiligung der verschiedenen Bereiche der kolumbianischen Gesellschaft eine breite Front bilden können, die in der Lage ist, die Eskalation des Krieges zu verhindern und die die ausländische Intervention verurteilt. Auf der Gegenseite werden sich die Kräfte der Reaktion befinden und die der Intervention. Und obwohl sie in der Minderheit sind, stellen sie eine mächtige und ernsthafte Gefahr dar.

Der kommende Kampf wird auf politischer, diplomatischer, militärischer, ideologischer und wirtschaftlicher Ebene geführt. Es wird ein Kampf sein für die Souveränität und für den Frieden in sozialer Gerechtigkeit, für eine Gesellschaft ohne Arbeitslosigkeit und ohne Vertriebene, mit Gesundheitsbetreuung, Wohnungen und sozialer Sicherheit.

Wir sind sicher, daß unser Volk die richtige Zukunft für sich wählen wird. Daß es die Kriegstreiber in Ketten legen und die Herausforderung des Kampfes annehmen wird, bis die Turbay, Vorfahren wie Nachfolgende, nur eine schlimme Erinnerung in der kolumbianischen Geschichte sein werden. Das Volk wird beweisen, daß nicht nur die Buchstaben der Verfassung verändert werden können, sondern die Verfassungen und die Länder selbst, wenn dies erforderlich ist.

Somit gelangt der Dialog an einen Scheideweg. Viele der Ergebnisse werden von der Besonnenheit der Kräfte abhängen, die sich in den USA, in Kolumbien und der Welt gegen die Intervention und den Krieg wenden. Sie werden abhängen vom Realitätssinn, mit dem die Regierenden Kolumbiens akzeptieren, daß die Beendigung des Krieges grundlegende Veränderungen voraussetzt. Gleichzeitig wird die Beteiligung der revolutionären und demokratischen Kräfte als Beförderer dieser Veränderungen entscheidend sein. Die FARC-EP zieht den Dialog vor. Der kolumbianische Staat, die Herrschenden und ihre Beschützer haben das Wort.

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